Konstruktionen des LKA Berlin am Beispiel der Rigaer Straße
Vor einigen Wochen gab es in Berlin eine Vielzahl an Hausdurchsuchungen und Razzien. Die G20-Razzien finden zahlreicher statt und steigern ihre Absurdität. Auch das Auftauchen von szenekundigen Beamt*innen in zivil vor vermeintlichen Szenelokalitäten häuft sich.
Diese Repressionshäufungen sind unserer Meinung nach aber keine neue Entwicklung, sondern entsprechen einem Kalkül, das die (Berliner) Cops schon seit geraumer Zeit verfolgen und welches nun mal wieder seine Früchte tragen soll.
Wir sollten diese Methoden analysieren, um dringend notwendige Gegenkonzepte zu entwickeln, unsere Solidarität auszubauen und Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Im Folgenden möchten wir eine neue – alte Repressionsgeschichte erzählen:
Prävention und Gefahrenabwehr
Razzien gegen Hausprojekte, vermeintliche Politkombos oder größere Ermittlungsverfahren, teilweise mit Vereinigungskonstruktionen, sind Instrumente des polizeilichen Staatsschutzes. Sie wurden schon seit jeher nicht nur in Berlin angewandt, um unliebsame Aktivitäten zu unterbinden oder auch einfach nur um den Bullen selbst ihren Arbeitsplatz zu sichern.
Wir stellen aber eine Veränderung in der Methodik bundesweiter Bullenarbeit fest.
Viele erinnern sich sicher noch an die großen §129 Verfahren. So zum Beispiel vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm oder auch die wiederkehrenden Verfahren gegen die Zeitschrift „Radikal“.
Das Schema der sogenannten Ermittlungen war fast immer dasselbe: Im ersten Schritt wurden mittels diverser Behauptungen eine Art Vereinigung konstruiert, um dann ein Ermittlungsverfahren wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ einzuleiten und auf dessen Grundlage Gerichtsbeschlüsse für allerlei „Operative Mittel“ durchzusetzen. Von Observationen über Telekommunikationsüberwachung bis zu Hausdurchsuchungen wurde dann alles sukzessive umgesetzt. Strafrechtliche Ziele, also die Bestrafung der vermeintlichen Straftäter*innen, wurden im seltensten Fall erreicht. Das sicher priorisierte Ziel: Einschüchterungen der Betroffenen, des Umfeldes, gar der Szene blieb jedoch oft nicht aus. Noch heute ist die „Panik“ vor einem § 129 Verfahren immer wieder präsent.
Nun gab es längere Zeit seltener Verfahren nach diesem Paragraphen gegen vermeintliche „Linksextreme“. In der Zwischenzeit hat sich aber mitnichten ein ideologisches Umdenken bei Staat und Behörde eingestellt, sondern es hat vielmehr ein Paradigmenwechsel in den Rechtsgrundlagen stattgefunden. Während mit dem Paragraphen 129 eine strafprozessuale Verfolgung stattfindet, deren Maßnahmen fast immer von Gerichten „kontrolliert“ und beschlossen werden, oder wenn nicht, dies immer wieder Anlass vieler Skandale war, arbeiten die Bullen heute viel öfter nach dem Gefahrenabwehrrecht, also präventiv. Grundlage ist dann eben nicht mehr die Strafprozessordnung, sondern das Polizeirecht (also das Gesetz, das jedes Handeln der Bullen regelt). In Berlin zum Beispiel das ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz) in Bayern das bekannte Polizeiaufgabengesetz und auf Bundesebene das BKA-Gesetz.
Diese juristische Keulenschwingerei lohnt einer näheren Betrachtung. Denn während Maßnahmen, zum Beispiel Observationen, Überwachungen von Telefon und/oder Fahrzeugen, Wohnungen, usw., die nach der Strafprozessordnung umgesetzt werden aus einem Gesetzesverstoß resultieren und damit die Bullen also nach einer Straftat eine*n Verdächtige*n finden oder konstruieren müssen, ist dies bei Prävention nicht mehr nötig, da ja die Person schon gefunden ist. Ihr muss nun nur noch eine gewisse Gefährlichkeit unterstellt werden, was sich sicher einfacher konstruieren lässt als die Beteiligung an einer Straftat, um dann schlussendlich die gleichen Maßnahmen anwenden zu können. So regelt in Berlin bspw. das ASOG die Möglichkeit eine Person für ein Jahr zur polizeilichen Beobachtung auszuschreiben.
Dies hat zur Folge: Eintragung der Ausschreibung in polizeiliche Systeme (jedes mal wenn diese Person nun kontrolliert wird, ergeht eine Meldung über den Umstand der Kontrolle an das Landeskriminalamt – LKA); Erfassung aller Verkehrsmittel der Person (jedes mal wenn ein, dieser Person zugeschriebenes – auch nicht auf sie zugelassenes – Fahrzeug – kontrolliert wird, ergeht ebenfalls eine Meldung an das LKA); Möglichkeit zur längerfristigen Observation auch mit technischen Mitteln (konkret: ein Haufen Schlapphüte rennen mit Kameras der jeweiligen Person hinterher, wann immer und wie oft sie wollen) Auch wenn das in Berlin allseits bekannte und unbeliebte als PMS bezeichnete Einsatzkommando an dieser Person vorbei fährt, ergeht ein sogenannter Tätigkeitsbericht an den Staatsschutz beim LKA. Dabei werden zudem alle Kontaktpersonen der*s Ausgeschriebene*n erfasst.
Um eine „Erlaubnis“ für diese Maßnahmen zu bekommen, bedarf es einer Gefahrenanalyse durch eine*n Mitarbeiter*in der zuständigen Fachdienststelle (in Berlin: LKA 5). Dazu reichen meist ein paar Seiten wer, wie, warum, auf welcher Demo rumspringt und die Unterschrift der Polizeipräsidentin. Ein Jahr später wird die ganze Geschichte einfach verlängert.
Noch einfacher sind konkrete Maßnahmen, wie längerfristige Observation, umsetzbar. Hier schreibt die zuständige Dienststelle ebenfalls einen kleinen Text und die Unterschrift kommt vom direkten Vorgesetzten beim LKA. Fertig.
Aber auch Meldeauflagen oder gar präventiver Gewahrsam für mehrere Wochen können auf Grundlage einer einfachen Gefahreneinschätzung eines Bullen angeordnet werden. Wie schon beschrieben, ein Tatnachweis für begangene Straftaten ist nicht nötig, nicht einmal einschlägige Urteile oder Ähnliches. Es reicht schlicht der Eindruck „Du bist irgendwie gefährlich“.
Dazu kommen die im sogenannten Gefahrenabwehrrecht geregelten Einstufungen als Gefährder oder Relevante Person. Nach welchen Kriterien wer-auch-immer eingestuft wird, ist in einem Papier geregelt, das als Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD) – klassifiziert ist. Der bürokratische Name dieses „Geheimpapiers“: ’“Standardmaßnahmen bei Gefährdern und Relevanten Personen” Einstufung im Rahmen der Gremienbeschlüsse der AG Kripo, zuletzt geändert im Umlaufbeschlussverfahren mit Stand 02. Juli 2013.’ Direkte Folgen aus der Einstufung ergeben sich bisher schon für Menschen ohne deutschen Pass. Weiter ist die Zuschreibung ein Grund für operative Maßnahmen, wie oben beschrieben. Das heißt im Umkehrschluss: Eingestuft wird, wer als gefährlich gilt, gefährlich ist, wer eingestuft ist. Nach diesem Prinzip arbeitet der Staatsschutz öfter, wie wir im Verlauf unserer Geschichte noch merken werden.
Dieses Vorgehen ist das Resultat diverser, von Politiker*innen und anderen Ärschen initiierten Diskussionen im Zusammenhang mit Terroranschlägen von Islamisten.
Als Wolfgang Schäuble schon im Jahr 2008 vom Abschießen entführter Flugzeuge und sogar von gezielter Eliminierung von Personen, die als Gefährder eingestuft werden, fabulierte, setzte dies die Diskurslinie ein gutes Stück nach oben. Während die Opposition gegen derlei Vorschläge verhalten Kritik äußerte, konnten Gesetzesentwürfe zu Fußfesseln, Präventionsmaßnahmen, wie die Überwachung und sogar Internierung eingestufter Personen, als Kompromiss durchgewunken werden.
Damals haben wir es leider verpasst uns diesem Thema zu widmen und dagegen zu arbeiten. Nun, da es, wie zu erwarten war, auch uns trifft, müssen wir aktiv werden.
All das Beschriebene ist heute Realität und Praxis, nicht nur gegen Islamist*innen oder vermeintlich verrückte Terrorist*innen sondern gegen Widerständige, ideologisch Unliebsame, gegen Oppositionelle, gegen uns…
Tagebuch einer alltäglichen (Berliner) Repressionsgeschichte
Die folgenden Erkenntnisse sind durch Akten, öffentliche Berichte und undichte Stellen bei Behörden bekannt geworden. Beginnen möchten wir die Geschichte mit einigen Vorkommnissen im Umfeld der Rigaer Straße, wir glauben das anhand auch dieser Ereignisse ein gesamtes Bild von der Vorgehensweise der Bullen gezeichnet werden kann, zumal die Methodik immer angelehnt ist an die Agenda der politischen Entscheidungsträger*innen. Diese nimmt direkten Einfluss auf die Ermittlungen bzw. Konstruktionen der Cops.
So fangen wir im Juli 2011 mit der Entdeckung der, vom LKA angebrachten, Kameras im Dachboden der Liebig-Grundschule an. Gerichtet sind die Überwachungskameras auf das Dachgeschoss und einige Fenster der Rigaer94 und angrenzender Häuser.
Durch die heimliche Bespitzelung der Nachbarschaft im Friedrichshainer Nordkiez erhoffte sich der damalige Innensenator medienreife Bilder von vermummten Straftäter*innen, die auf Dächern mit Steinen um sich werfen. Stattdessen konnte er Bilder von, auf dem Dach sonnenbadenden Nachbar*innen bei Kaffee und Kuchen vorweisen. Die Spannerutensilien musste er so wieder einpacken.
Ein halbes Jahr später im Januar 2012 wurde bekannt, dass der Staatsschutz die Funkzellen im Friedrichshain massenhaft abschnorchelte, angeblich um Straftaten aufzuklären. Komischerweise aber auch an Tagen, an denen keine Straftaten bekannt wurden. Schon jetzt war klar, dass die Bullen versuchen werden jede*n, die*der sich rund um die Rigaer Straße aufhält zu registrieren. Dieser erste noch heimliche Versuch wurde öffentlich, sodass das Landeskriminalamt beteuern musste die Generalüberwachung vorerst einzustellen.
6 Tage nachdem sich Innensenator Henkel im Innenausschuss wegen der Videoüberwachung rechtfertigen musste, stürmen am 29. Januar 2012 Hundertschaften eine Party in der Kadterschmiede. Grund soll ein als Schneeball getarnter Stein, der auf ein Bullenauto flog, gewesen sein. Nachdem mehrere Feuerlöscher in das Innere des Hauses entleert wurden, wehrten sich einige Gäste der Party ebenfalls mit Löschpulver und einem Besenstiel, um die Trittleiter der Bullen vom Treppenaufgang abzuhalten und damit die Feuerlöscher-Angriffe zu unterbinden. Daraus bogen sich die Bullen eine Geschichte von einer Eisenstange, die direkt gegen den Hals eines Bullen (besser bekannt als Erik) gestoßen worden sein soll, zurecht. Die Ermittlungen liefen sodann als „Versuchter Mord“. Das Verfahren, das gegen alle registrierten Partygäste lief, wurde bis heute nicht eingestellt. Mit dieser Aktion versuchte Henkel die dilettantischen Maßnahmen im Vorhinein zu rechtfertigen und seine harte Linie gegen alles Subversive anzukündigen.
Wieder ein halbes Jahr später fand unbeobachtet von der Öffentlichkeit ein, für die Berliner Bullen grandioser, (Zu)Fall statt. Marcel Göbel, ein pathologischer Lügner, wird in Hamburg nach einer Brandstiftung festgenommen. Nachdem er im Verhör umfänglich aussagt und verschiedene völlig halluzinierte Geschichten herbeiredet, reist der Berliner Staatsschutz an, um an den phantasierten „Aussagen“ teilzuhaben. Unter anderem berichtet Göbel von der Kadterschmiede und der Rigaer94 als politische Schaltzentrale der Autonomen Berlins. Seine Geschichte findet seitdem regelmäßig Erwähnung im Berliner Verfassungsschutzbericht und dient den Bullen des LKA als Grundlage ihrer Gefahrenanalyse, später auch für diejenigen, welche die Cops als das Umfeld der R94 ausgemacht haben wollen. Bis zu der Festnahme Göbels und seinen Aussagen tauchte die Rigaer94 nicht im Verfassungsschutzbericht auf.
Am 19. März 2013 werden sechs Menschen im Treptower Park von Zivilbeamten kontrolliert, darunter Ulli und Pete. Es wird ein Vermerk geschrieben, dass „Hinreichende Anhaltspunkte zur Einleitung eines Strafverfahrens/ von strafprozessualen Maßnahmen nicht vorlagen“. Trotzdem sollen diese Personen einen Brandanschlag auf das in der Nähe befindliche Polizeigebäude in der Bulgarischen Straße geplant haben, weil einer von ihnen Jahre zuvor dort inhaftiert wurde bzw. vielleicht auch auf das angrenzende Bezirksamt. Was die Wahl und Planlosigkeit der Zivis widerspiegelt.
So entsteht ein weiterer Grundstein zur Gefahrenanalyse.
Am 2. Mai 2013 kommt es zu diversen Angriffen auf Jobcenter. Dabei wird Kim verhaftet. Im Zuge der Ermittlungen überwachen die Bullen die gesamte Telekommunikation von Kim, des Weiteren werden Abhörmaßnahmen auf einige der Personen erweitert, die vom 29. April bis 3. Mai mit Kim im telefonischen Kontakt standen. Zusätzlich wird sie observiert und gegen mindestens eine weitere Person wird aufgrund beobachteten Kontakts ermittelt.
Vor Kims Wohnung und später auch der Rigaer94 (eine Person, die mit Kim telefoniert haben soll, wohnte angeblich dort) wird Videotechnik in Fahrzeugen installiert bzw. werden Observationsbullen vor dem Haus eingesetzt.
Am 7. Juni wird am Kottbusser Tor in Kreuzberg ein Mannschaftswagen der Polizei im Rahmen einer unangekündigten Sponti in Solidarität mit den Protesten im Istanbuler Gezi Park, angegriffen. Später werden in der weiteren Umgebung zwei Menschen festgenommen und am nächsten Tag freigelassen, Tatvorwurf mal wieder versuchter Mord. Einer von ihnen (Alex) soll in der Rigaer 94 wohnen. Im Zuge der Ermittlungen werden die Verbindungsdaten mehrerer hundert Menschen in Kreuzberg und Friedrichshain überprüft … ohne irgendwelche verfahrensrelevanten Erkenntnisse zu erzielen. Ebenso wird noch am Morgen der Festnahme die Meldeanschrift, trotz des Umstands, dass die Ermittler von der Rigaer 94 als Wohnort ausgehen, durchsucht. Dazu rammen knapp 30 Bullen die Wohnungstür auf und überraschen eine schlafende Person mit vorgehaltenen Waffen.
Einen Tag später werden mehrere Leute kontrolliert, darunter die Person Ulli, weil sie mit dem am Vortag festgenommenen Alex, zusammenstehen. Es werden Kleidungsstücke von ihnen beschlagnahmt und auf DNA untersucht. Der Staatsschutz fertigt einen Vermerk, demzufolge alle Kontrollierten Linksextremisten seien, die den Staat ablehnen. Dazu würden sie ständig Straftaten planen, was auch der Vermerk bezüglich der Kontrolle im Treptower Park am 19. März 2013 belege. Beide Vermerke tauchen seitdem ständig in Akten zu diversen Verfahren auf.
Zitat aus der Ermittlungsakte, verfasst von der Kriminalhauptkommissarin Claudia Reidenbach: „[…]bei den genannten Personen der beiden zitierten Kontrollen handelt es sich um Angehörige der linksextremistischen Szene, die alle Repressionsorgane, Personen und Einrichtungen, die diese unterstützen oder denen nahestehen als klar definierte Angriffsziele sehen, die es gemäß Sprachgebrauch der linken Szene “zu beseitigen gilt”. Zum Ausdruck kommt dies durch verschiedene Straftaten gegen Repressionsorgane und / oder -objekte, die auch nach einer Verurteilung und Ermittlung weiter begangen werden. Eine Verurteilung führt hier nicht zu einer Entwicklung von Unrechtsbewustsein, sondern unter Umständen zu einer stärkeren Radikalisierung. […]“
Man beachte: Diese Analyse bezieht sich auf die zwei genannten Kontrollen. Die Gefährlichkeit ergibt sich also auch aus der Kontaktschuld derer, die sich in Parks treffen.
Auch hier sieht das LKA bei einigen Personen, die fortan als „Mittäter“ und „Kontaktpersonen“ bezeichnet werden, einen Bezug zur Rigaer 94.
Zitat aus der Analyse Reidenbachs: “Eine Zugehörigkeit zum besetzten Hausprojekt Rigaer Str. 94 ist aus hiesiger Bewertung eine qualitative Aussage zur dort wohnhaften Person.”
Im August 2013 kommt es dann zur Vollstreckung der Durchsuchungsbeschlüsse in den Ermittlungsverfahren zum Jobcenter und dem Angriff am Kotti. Dabei werden alle Personen durchsucht, die im vorher genannten Zeitraum mit Kim telefoniert haben sollen und über die die Cops Erkenntnisse haben. Erkenntnisse sind bspw. eine Personenkontrolle auf einer Demonstration und der damit verbundene polizeiliche Eintrag als „politisch Links“. Zudem wird den Beschuldigten DNA entnommen. Auch Anrufversuche, also nicht zustande gekommene Telefonate, zählen als Indiz für einen Kontakt, sogar wenn es sich nicht um Telefonate mit Kim handelt, sondern eine Person angerufen wurde, die zuvor als Kontaktperson von Kim eingestuft wurde, somit gar kein direkter Zusammenhang besteht. Das Landgericht wird einen Monat später diese Durchsuchungen, sowie die in der Rigaer94, als rechtswidrig deklarieren. Scharf kritisiert wird im Urteil vor allem die Kontaktschuld, die die Cops eröffnen. Die Taktik des „Schuld durch Kontakt“-Konstrukts wird zukünftig eine größere Rolle in der Arbeit des Landeskriminalamt spielen, von dem Urteil des Landgerichts offensichtlich nicht abgeschreckt werden Bekanntschaften zu möglichen Mittäter*innen. Das Kalkül dahinter ist klar: Aktivist*innen zu isolieren und Solidarität zu brechen. Nicht immer laufen diese Versuche ins Leere…
Wenige Wochen nach den Razzien wird eine Bekannte Kims von einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes (VS) angesprochen, um sie für Spitzeldienste gegen Kim und Umfeld zu rekrutieren.
Einige der in den bisherigen Verfahren beschuldigten Personen stellen Anfragen an das Berliner LKA und den VS, um Auskunft über gespeicherte Daten zu bekommen. Bis heute wird die Auskunft über gespeicherte personenbezogene Daten in Teilen verweigert. Dagegen laufen Klagen vor dem Verwaltungsgericht. Bekannt geworden ist: Alle zu dem Konstrukt „Rigaer94 / militante Linksextremisten“ gespeicherten Personen sind zur polizeilichen Beobachtung / Meldefahndung ausgeschrieben. In der Datei „Gewalttäter Links“ werden die Betreffenden deshalb zu dem Delikt „gefährliche Körperverletzung“ geführt, mit dem Zusatz: „Fiktives Delikt, da Ausschreibung sonst technisch nicht möglich“.
Durch eine undichte Stelle im Sicherheitsapparat wird bekannt, dass Ulli als „Gefährder“ in den polizeilichen Informationssystemen gespeichert ist und weitere Personen, darunter Pete, als „Relevante Person – Kontaktperson zu einem Gefährder“ bzw. mit dem Merker „BRPTGEFLINKS“, was soviel bedeutet wie: „Berlin Potentiell Gefährder Links“, aufgeführt wird. Gegen einige der Betroffenen läuft dabei mindestens seit 2013 ein umfangreiches Programm zur Observation und technischer Überwachung. Das ASOG bildet hier die Grundlage, sodass keine der Maßnahmen einer richterlichen Kontrolle unterliegen.
Unterdessen untersuchen die Bullen die Gegenstände, die den Personen in der Kontrolle am Tag nach der Sponti am Kottbusser Tor abgenommen wurden. Angeblich soll an einem Pfefferspray dieselbe DNA-Spur anhaften wie an einer Sturmmaske, welche im Nahbereich zum Kotti nach dem Angriff eingesammelt wurde. Die Bullen unterstellen Ulli der Besitzer dieser Spur zu sein. Daher werden am 20. August 2014 seine Wohnung und die nicht mehr aktuelle Meldeanschrift durchsucht. Ulli wird DNA abgenommen, es wird sich herausstellen, dass diese nicht dem gefundenen Muster entspricht. Nichtsdestotrotz wird seine/ihre DNA nun in die DAD (DNA Analyse Datenbank) aufgenommen. Grundlage ist auch hier wieder eine, vom Staatsschutz gefertigte, Gefährdungsanalyse, in die nicht nur die bisherigen Vorkommnisse einfließen, sondern auch der abstruse Sachverhalt Ulli habe bei M31 in Frankfurt Polizeibeamte angegriffen. Die Polizei weiß zwar, dass Ulli an diesem Tag nicht in Frankfurt war, eine Klage gegen die DNA-Speicherung wird aber nicht verhandelt, weil kein Gericht dafür zuständig sein will.
Vom 6. bis 12 Juli 2015 findet die lange Woche der Rigaer Straße statt. Sowohl der Umsonstflohmarkt als auch Partys auf dem Dorfplatz sind immer wieder Ziel massiver Bullenangriffe. Es werden etliche Menschen festgenommen. Daraufhin wird eine Demonstration organisiert, die ebenfalls attackiert wird. Der sogenannte Innenexperte Tom Schreiber (SPD) kompensiert seine politische Bedeutungslosigkeit mit Stimmungsmache gegen linke Hausprojekte. So äußert er sich im Zusammenhang mit der langen Woche: „Die Polizei müsse im Kiez nachts dauerhaft präsent sein, im Polizeijargon wird dies “Raumschutz” genannt. Und man muss sich die Szenelokale vornehmen, der Repressionsdruck muss erhöht werden”. Diese Aufforderung kommt Innensenator Henkel gelegen. Wie gut, wird sich wenig später schon zeigen.
Eine unangekündigte Demo von 40 Nazis zuzüglich Begleitung von Cops in zivil durch die Rigaer Straße endet zwar in einem Bullenkessel, scheint aber keine größere Aufregung bei den Behörden zu verursachen. Ebensowenig der einige Wochen später verübte Brandanschlag auf das FLTI* Hausprojekt Liebig 34.
Innensenator Henkel beginnt seine Offensive gegen die „Chaoten in der Rigaer“. Erster Schritt ist ein Treffen auf dem, für Friedrichshain zuständigen, Abschnitt 51 am 6. November 2015 zwischen Polizeidirektor Krömer, dem LKA 5, Andreas Weiß (A51), Schröer von der Hausverwaltungsfirma Belima, die zu diesem Zeitpunkt zuständig für die Verwaltung der Rigaer94 ist und dem Rechtsanwalt Tessmer als Vetreter des Besitzers. Es soll ein gemeinsames Vorgehen aufeinander abgestimmt werden.
Der nächste Schritt ist eine Art Dauerbelagerung des Nordkiezes, in Spitzenzeiten werden 1880 Personalien binnen 6 Wochen festgestellt . Ab November wird die belagerte Rigaer Straße von offizieller Seite als „Kriminalitätsbelasteter Ort“ (KBO) bezeichnet. Im Volksmund besser bekannt als Gefahrengebiet.
Am 13. Januar 2016 kommt es dann zum zwischenzeitlichen Höhepunkt des Henkelschen Masterplans. Beim Versuch eine*n Falschparker*in zu ahnden, soll ein Kontaktbereichsbeamter zu Boden gestoßen worden sein. Gemäß den vorher vereinbarten Plänen wird mehr als 8 Stunden später die Rigaer 94 mittels Großaufgebot, inklusive Spezialeinheiten, gestürmt. Nachdem die eingesetzten Bullen Bewohner*innen verprügelten, einige Türen eintraten und ein paar Personalien aufnahmen, ist der Spuk zu Ende. Später werden die Bullenführung und der Innensenat mitteilen, dass es nie um die Strafverfolgung ging, sondern darum dort ein Zeichen zu setzen. Um eine Gesetzesgrundlage zu nennen, fabuliert der Pressestab von Gefahrenabwehrrecht in Form des ASOG. Der Staat gibt wiedereinmal seine eigenen Regeln auf.
Zwischen dem 14. und 18. Januar 2016 teilen die Behörden mit, dass sie das ASOG berechtige alle Häuser zu „begehen“ wann immer sie dies für richtig erachten. Damit ist gemeint, dass zwar für Wohnungen ein richterlicher Beschluss zur Durchsuchung oder ähnliches vorliegen muss, nicht aber bei einer sogenannten „Begehung“, die ja lediglich das Haus meine, also Treppenaufgänge, Dachstühle, Dächer, Keller, usw.. So werden in dieser Woche zahlreiche Häuser in der Rigaer Straße und Umgebung begangen, auch ein weiteres Mal die R94.
Andreas Weiß, der Bulle vom A51, der auch an dem Meeting vor einigen Wochen teilnahm, sorgt sich Anfang Februar um die Rechtssicherheit einer weiteren Stürmung der R94, so erfragt er bei dem Hausjustitiar der Berliner Polizei, Oliver Tölle, eine juristische Rechtfertigung.
Zitat aus der Email: „Hallo Oli, wer einmal mit der Rigaer Straße anfängt, kommt nicht so schnell davon weg. Um dennoch die Aufgabe nicht zu einer Lebensaufgabe zu machen, sind verschiedene polizeiliche Maßnahmen denkbar, sofern sie auch rechtlich machbar sind. Wir wissen, dass die Hausverwaltung für die „R94“ offensiv handelt, aber oftmals auf Polizeischutz angewiesen ist. Das aktuelle Thema könnte auch in diese Richtung gehen. Aus dem Einsatz von 18. Jan. 2016 ist durch den Tätigkeitsbericht der 14. Ehu bekannt, dass im Gebäude der „R94“ bauliche Veränderungen vorgenommen wurden, die den Brandschutz in Frage stellen, vielleicht sogar auch die Statik.[…] Hier sind noch einige Unklarheiten zu beseitigen, bevor ein Einsatz „R94“ geplant werden kann. Oli ich bitte Dich schnellstmöglich mit dem L A 51 Verbindung aufzunehmen und weitere rechtliche Details zu erörtern bzw. den Rechtsbeistand der Hausverwaltung offensiv zu kontaktieren. Von der Rechtsklarheit hängt es ab, ob und wann ein Einsatz möglich ist. […]
Auch Tom Schreiber glaubt sich an der Stimmung gegen die Rigaer Straße laben zu können. So twittert er am 21. Februar 2016 vom „Filetieren linker Projekte“. Just an diesem Abend betritt ein bekannter Nazi das Lokal „Abstand“ in der Rigaer Str. 78. Als er rausgeschmissen wird, stürmt eine Hundertschaft unter Mithilfe der Berliner Feuerwehr das Lokal.
Am 20. Mai 2016 findet mal wieder ein Meeting auf dem Abschnitt 51 statt. Nebst der Polizeiführung kommen auch Vertreter der Briefkastenfirma, die sich als Besitzer der Rigaer94 darstellen.
Im Juni lässt Frank Henkel, in einem seltenen Moment kriminalistischer Weitsicht, die Observationsmaßnahmen des Mobilen Einsatzkommandos (MEK/LKA 62) beim “islamistischen Gefährder” Anis Amri abbrechen. Alle verfügbaren MEK Beamt*innen werden zur Vorbereitung des Überfalls auf die “linksextremistischen Gefährder” der Rigaer 94 gebraucht, der eine Woche später geplant ist (https://www.taz.de/!5510622/).
Der Finale Schlag in Henkels Plan soll dann am 22. Juni 2016 stattfinden. Hundertschaften der Polizei greifen die Rigaer94 an. Unter ihrem Kommando ist ein Trupp Bauarbeiter zur Räumung und zum Umbau der Kadterschmiede, Dachgeschoss und anderen Räumen. Sie nisten sich zusammen mit einem Sicherheitsdienst für drei Wochen im und vor dem Haus ein.
Einige Tage später, nachdem die Bullen also genügend Zeit hatten alle möglichen Personendaten der Bewohner*innen zu sammeln, veröffentlicht ein Nazi-Blog die Daten von Personen, die die Polizei in einem Zusammenhang mit der Rigaer führt.
Während der Proteste gegen die Räumung der Kadterschmiede beobachten am 5. Juli Observationsspezialisten des LKA 62 einige Menschen, die im Volkspark Hasenheide sitzen. Einige der Personen sollen später an einem unangemeldeten Fahrradkorso teilgenommen haben. Im Nachgang der Observation, die mal wieder nach dem ASOG angeordnet wurde und präventiver Natur sein soll, identifiziert unter anderem ein bekannter szenekundiger Beamter mit der Codiernummer 99100564 eine Vielzahl der Personen, die im Park fotografiert wurden. Der genannte Bulle taucht in den nächsten Jahren bei dutzenden Ermittlungsverfahren als Berufsidentifizierer auf, obwohl seine Erfolgsquote denkbar gering ist. Daraus ergeben sich dann so gut wie immer Hausdurchsuchungen und weitere Repressalien. Zu den „Identifizierten“ gehören Pete, Kim und neu in unserer Geschichte: Joe und Andi. Wieder findet sich eine Analyse zum vermeintlichen „Personenkreis“ in der Ermittlungsakte: Allen im Park Fotografierten und angeblich identifizierten wird vom Staatsschutz ein Bezug zur Rigaer94 nachgesagt und daraus resultierend eine Gefährdung festgestellt. („Die im hiesigen Ermittlungskomplex beschuldigten Personen tauchten und tauchen immer wieder auch in anderen polizeilichen Ermittlungen zu Straftaten mit einer vermuteten linkspolitischen Motivationslage auf. Dabei agieren sie in kleineren oder größeren Gruppen miteinander, in verschiedenen Konstellationen, meist mit weiteren Personen, die im hiesigen Verfahren nicht erfasst sind.“) Zudem werden die Beschuldigten, sofern nicht schon geschehen, zur polizeilichen Beobachtung ausgeschrieben.
Der vom Beginn der Story schon bekannte Marcel Göbel wird einen Tag später in Lichtenberg verhaftet, als er Kleinwägen und einen besprühten Wohnwagen anzündet. Vor Gericht wird er aussagen, die Brände sollten „den Linken in die Schuhe geschoben“ werden.
Am 9. Juli findet die großartige Demonstration „Rigaer 94 verteidigen! Investor*innenträume platzen lassen!“ statt. Die Bullen werden sie als die „gewalttätigste Demo der letzten Jahre“ bezeichnen. Die eigentümliche Zahl von 123 verletzten Bullen soll der Beweis dafür sein. Leider gibt es auch Festnahmen, darunter Thunfisch, Aaron und Balu. Eine Solikampagne versucht eine Antwort auf diese Repression zu geben.
Nach einem politischen Gesichtsverlust Henkels, verursacht von der überwältigenden, grenzenlosen Solidarität mit der Rigaer, muss der Innensenator auch noch eine juristische Niederlage einstecken. So verkündet das Verwaltungsgericht keine Woche nach der Demonstration die Unrechtmäßigkeit der Räumung und die Bullen müssen sich noch am selben Tag selbst räumen.
Im Herbst, kurz nach Henkels Abtritt, werden die Durchsuchungsbeschlüsse gegen die, wegen der Beteiligung am Fahrradkorso Beschuldigten, vollstreckt. Die Razzia findet in 14 Objekten in Berlin und Leipzig statt. Der lächerliche Versuch einer juristischen Konsequenz der Geschehnisse kann wenig über das Versagen des Innensenats hinwegtäuschen. 2 Jahre später fand noch immer kein Prozess in diesem Verfahren statt, einige Personen erhielten unterdessen aber Einstellungsbescheide. Stattdessen trat Henkel ohne Pauken und Trompeten bei der Abgeordnetenhauswahl ab.
Sein Nachfolger Geisel (SPD) versucht sich nun in subtilerem Vorgehen. Der Taktikwechsel spiegelt sich auch in der Vorgehensweise des Staatsschutz wieder.
Im März 2017 versucht sich der Angestellte eines Outdoorladens in der Aufklärung eines Ladendiebstahls und gibt Aufnahmen seiner Überwachungskamera an die Polizei. Standbilder daraus landen im Intranet der Polizei, wo sie Monate später von dem bekannten PMS-Identifizierungskünstler 99100564 mehreren Personen zugeordnet werden. Für den vermuteten Diebstahl eines Erste Hilfe Sets erklärt sich der Staatsschutz zuständig, da dieses dazu genutzt würde, die Rigaer94 zu unterstützen. Es ist die Rede von einem „politisch motivierten Diebstahl“, diese Erfindung wird noch öfter verwandt werden.
Die Rigaer verliert ihre Widerspenstigkeit nicht: Am 16. Juni 2017 findet ein Konzert auf der Straße statt. Um dieses vor etwaigen Bullenangriffen abzusichern, werden Barrikaden errichtet. Dennoch wird später der Gefährte Nero im Friedrichshainer Südkiez festgenommen, nachdem er in der Nähe des Boxhagener Platzes einen Helikopter der Bullen mittels Laserpointer nervt. Am nächsten Tag wird er vorerst wieder freigelassen. Mehr als einen Monat später wird er allerdings auf seiner Arbeitsstelle von Bullen des LKA 5 abgeholt und in Untersuchungshaft gesteckt. Vor Gericht gestellt, wird er aufgrund eines Paragraphen, der beinhaltet: Wer einen „schweren Eingriff in den Luftverkehr“ aus Gründen eine andere Straftat zu begünstigen begeht, wird mit mindestens einem Jahr Haft bestraft. Die Anklage geht davon aus er habe den Bullenheli geblendet, um die Bullen bei ihrem Einsatz gegen die Party in der Rigaer Straße abzuhalten oder zu behindern und die Aktionen gegen diese begünstigt. Er bekennt sich und wird letztlich zu 1,5 Jahren Haft verurteilt.
Wenige Wochen vor dem G20 Gipfel in Hamburg werden zwei Menschen aus Berlin, darunter Joe, in einem Fahrzeug verhaftet, ein in der Nähe geparkter Transporter mit Streugutkisten gilt als Grundlage. Der Transporter wird den beiden Menschen zugerechnet, da der/die Mieter*in vom Transporter Andi ist und diese*r durch das LKA als Kontakt/Bekannte Person von Joe geführt wird, aufgrund der o.g. Observation vom 5. Juli. Der Kontakt zur zweiten Person ergäbe sich daraus, dass beide 2010, also 7 Jahre vorher, in einem Polizeikessel bei einem Naziaufmarsch in Dortmund kontrolliert wurden. Eine Präventivhaft gegen die beiden lehnt das Gericht vorerst ab, später werden aber gegen insgesamt vier Leute aus Berlin Meldeauflagen verhängt, darunter auch Pete und Andi. Im Revisionsverfahren wird gegen die beiden in Hamburg angetroffenen Personen schlussendlich Präventivhaft verhängt. In Akten des LKA werden diese Personen dem Konstrukt „Linksextremisten um die Rigaer94“ zugerechnet. Dazu laufen die Ermittlungen vorerst unter dem Paragraph 89a (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat). Folge sind zahlreiche Observationen und Telekommunikationsüberwachungen bei den Beschuldigten. Ein Gerichtsbeschluss für diese liegt bis heute nicht vor, sodass auch hier die Maßnahmen auf Grundlage des Gefahrenabwehrrechts durchgeführt wurden und damit mal wieder keinerlei Möglichkeit besteht gegen derlei Repressalien vorzugehen. Die gesammelten Daten und Gefahrenanalysen im Vorfeld verfehlen in diesem Verfahren ihre Wirkung nicht. So wird dieser Fall nun auch zum Tagesordnungspunkt im Gemeinsamen Extremismus und Terrorismusabwehrzentrum. Das Resultat der dortigen Gespräche lässt sich nur erahnen…
Am 10 November 2017 treffen sich mal wieder Mitarbeiter des LKA 5 mit Vertretern der angeblichen Eigentümer der Rigaer94. Sie vereinbaren allen Mieter*innen des Hauses Abmahnungen zuzustellen, Grund sollen die angeblich illegal eingebauten Stahltüren im Hauseingang sein. Am 14. Mai soll die Berufungsverhandlung zur Erwirkung eines Räumungstitel stattfinden. In diesem Zusammenhang erklären sich die Bullen bereit den Verein „Freunde der Kadterschmiede“ amtlich abzumelden, um dem Anwalt der Besitzerfirma einen Vorteil zu verschaffen. Auch dieses Treffen findet hinter „verschlossenen Türen“ statt und sollte eigentlich nicht öffentlich werden.
Einigen Mitarbeitern des Staatsschutzes scheint die Unterschwelligkeit ihrer Maßnahmen zu wenig Konfrontationsstoff zu bieten. Bisher unbekannte Polizeibeamte verschicken im Dezember 2017 Drohbriefe an verschiedene Szenelokale. Neben Bildern von Erkennungsdienstlichen Behandlungen und Personalausweisen finden sich zahlreiche Details aus den personenbezogenen Kriminalakten der Ermittler*innen. Im Brief werden diverse Menschen, die von den bisher aufgezählten Repressionen betroffen waren, unter anderem: Ulli, Alex, Joe, Pete und Kim, benannt. Wessen Geistes Kind der Berliner Staatsschutz ist, zeigt sich einmal mehr im jüngsten “Skandal” der sich im Nazi-Jargon grüßenden Beamte.
Anfang 2018 erhalten alle vier Personen, gegen die im Zusammenhang mit den Hamburger Streugutkisten ermittelt wird, die Aufforderung DNA abzugeben. Im April werden daraus vollstreckbare Beschlüsse. Der Vorwurf lautet mittlerweile „Diebstahl aus politischen Gründen“, es soll also DNA genommen werden, aufgrund des Diebstahls zweier Streugutkisten.
Im März desselben Jahres wird, mit einem Großaufgebot (350 Bullen inkl. Spezialkräfte), der Rigaer94-Bewohner und Gefährte Isa festgenommen. Anfangs beschränkt sich der Vorwurf auf einen Vorfall in der Rigaer Straße, bei dem Isa einen Mann, der betrunken versuchte seinen Hund und später seine Lebensgefährtin zu verletzen, zu Boden drückt, sowie auf einen Pfeffersprayeinsatz gegen einen, im Kiez bekannten, Bullen der 13. Einsatzhundertschaft. Aufgrund der Aussagen einiger Nachbar*innen, die wie sich später herausstellt, wenig gesehen haben und der Behauptungen des Polizeikommissars Heller wird ein Haftbefehl ausgestellt. Im Verlauf seiner Untersuchungshaft kommen weitere Vorwürfe dazu, alle haben dieselben Nachbar*innen bzw. denselben Bullen (PK Heller) als Grundlage. Im Prozess wird bekannt, dass die bearbeitende Dienststelle, der Staatsschutz, mindestens 24 mal mit den „Zeug*innen“ telefonierte und drei Treffen organisierte. Ebenso haben die Zeug*innen direkten Kontakt zum Oberstaatsanwalt Matthias Fenner, der für die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft Berlin die Leitung inne hat. Auch für Isa schreibt der Staatsschutz eine Gefahrenanalyse bzw. ein Psychogramm. Kriminalkommissar Phillip Warmuth und Kommissarin Pulver sprechen darin von einer asozialen Wertevermittlung Isas seinen Kindern gegenüber und einer toxischen Symbiose zwischen ihm und den Bewohner*innen der Rigaer94.
Es ist an der Zeit die verdeckten Maßnahmen gegen einige Leute aus dem sog. Umfeld der Rigaer Straße zu verlängern. So wird im April, die für Pete am 3. Mai 2018 auslaufende polizeiliche Ausschreibung inklusive längerfristige Observation, etc. auf den 3. Mai 2019 verlängert. Gründe hierfür sind eine Vielzahl, hauptsächlich von szenekundigen Beamten beobachtete, Situationen. Diese fertigen bei jeder Begegnung einen Tätigkeitsbericht, ob es sich hierbei auch wirklich um die „erkannte“ Person handelt, scheint unwichtig. So fließen in die Begründung der Gefährlichkeit, Demonstrationen ebenso ein wie Infoveranstaltungen oder Kneipenabende. Aber auch Observationen vom Verfassungsschutz sind nachweislich Bestandteil der Analyse. Interessant ist hierbei, dass Beobachtungen oft dann vorgenommen werden, wenn in der Nacht davor Aktionen, die der VS den Personen zurechnet, passieren. Auch neue Analysen zu Ulli werden gefertigt, so besteht die Gefährlichkeit unter anderem darin, dass Ulli Infoveranstaltungen in der Kadterschmiede „anmoderiert“ haben soll. Weiter besuche er Veranstaltungen zum Thema „Verdeckt agierende Beamten bei Demonstrationen, sogenannte Tatbeobachter*innen (TaBos)“, dies würde beweisen, dass die Szene die polizeiliche Struktur ausforscht. Aus diesem Grund dürfen die Datenauskünfte, die schon vor Jahren gestellt wurden, immer noch nicht vollständig beauskunftet werden.
Am 9. Mai 2018 durchsuchen 120 vermummte Bullen, inklusive SEK, Helikopter und technischen Einheiten die anarchistische Bibliothek Kalabal!k und vier Privatwohnungen. Grundlage sind zwei Durchsuchungsbeschlüsse wegen Verstoß gegen das Pressegesetz. Im Kalabal!k soll ein Plakat beschlagnahmt werden, welches von außen einsehbar, mehrere Zivis mit der Überschrift „Achtung Staatsschutz“ zeigt. Der andere Beschluss richtet sich gegen Pete und Joe, diese sollen ein Plakat mit den Verantwortlichen des G20 Gipfels an das Redaktionshaus der BILD-Zeitung plakatiert haben. Eines der gestürmten Objekte wurde einzig auf der Grundlage durchsucht, dass eine der tatverdächtigen Personen sich angeblich dort öfter aufhalten würde. Ermittlungsgrundlage ist eine Zeugin mit dem vielsagenden Namen Münstermann, die eine Person auf Lichtbildern wiedererkannt haben möchte. Die zweite Person gehöre zum Umfeld der anderen und wäre schon im Zusammenhang mit politischen Plakaten im Jahr 2012 polizeilich aufgefallen. Irrelevant scheint, dass das in Rede stehende Verfahren wg. Plakatieren schon damals in einem gerichtlichen Freispruch endete, genauso wie sonst keine weiteren Erkenntnisse für eine Täterschaft vorliegen. Nicht das erste und vor allem nicht das letzte mal, dass die Ermittler*innen Verfahren, die mit Freisprüchen enden, als Grundlage für Ermittlungen oder Gefahrenanalysen verwenden. Bei dieser Gelegenheit entnehmen die Bullen einem der Betroffenen DNA, aufgrund der Causa Streugutkiste.
To be continued…
Die Geschichte wird mit Sicherheit hier nicht enden. Auch sollte uns bewusst sein, dass die hier genannten, verdeckten „Maßnahmen“ und Konstruktionen der Bullen nur einen kleinen Teil dessen darstellen, was noch so in den Aktenschränken der Behörden vor sich hin wuchert.
Diese Chronik beschreibt, wie aus einzelnen unterschiedlichen polizeilichen Fäden, ein ganzes Spinnennetz an polizeilichen “Erkenntnissen” entsteht. Wer einmal in diesem Netz gefangen ist, wird dieses so schnell nicht mehr verlassen. Alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzend, baut sich der Sicherheitsapparat so seine eigene Arbeitsgrundlage.
Wir sind von dem Ausmaß der Bereitschaft der Cops und deren politischer Führung, ihre eigenen Regeln und Gesetze zu brechen und zurecht zu biegen nicht überrascht. Schließlich liegt in der Bereitschaft die eigene Existenzgrundlage, also ihre selbst verfassten Dogmen über den Haufen zu werfen, der offenkundigste Widerspruch der Herrschenden. Allerdings spiegeln sich in der Erzählung die Alpträume der Antiüberwachungsbewegungen wieder. Die bürgerliche Angst vor einem Polizeistaat ist schon lange keine Dystopie mehr, sondern Alltag im hier und jetzt und ganz real.
Während Henkel noch offensiv und sichtbar versuchte die Szene rund um die Rigaer Straße zu gängeln und einzuschüchtern, ist die Agenda des Rot – Rot – Grünen Senats wesentlich verdeckter. Dies erschwert eine offene Auseinandersetzung. Mit vermeintlichem „Rechtssicheren“ Handeln, wie es Politiker*innen der SPD immer wieder fordern, hat das Vorgehen selbstverständlich wenig zu tun, im Gegenteil ist die Taktik der Bullen seit einigen Jahren ein noch konspirativeres Agieren. Der Vorteil für die Cops: Rechtfertigungen, vor allem vor Richter*innen oder gar der Öffentlichkeit haben sie selten zu befürchten. Notfalls wird immer auf das ASOG verwiesen. Die andauernde Anwendung des Polizeirechts bzw. der Gefahrenabwehr muss als Verselbstständigung der Behörden wahrgenommen werden. Wie schon beschrieben, umgehen die Cops so jede Prüfung durch juristische Institutionen.
Wir stecken keine Hoffnung in eine gerechte Justiz und fordern auch keine Rechtssicherheit, denn dass es diese immer nur für die geben kann, die besitzen und herrschen, zeigt nicht zuletzt diese Geschichte. Wir müssen aber beobachten wo die Reise des Sicherheitsstaats hingeht, sogar Pläne zu einer erweiterten Hinrichtungspraxis mittels ASOG durch die Polizei liegen bereits vor.
Doch wir sehen auch in anderen Ländern derartige Verschärfungen. Trotz Ausnahmezustands in Frankreich und massiver Repression, ist die Bewegung dort stark und macht weiter. Auch hier wird sich niemand von neuen Gesetzten aufhalten lassen, da man schon die alten nicht akzeptiert…
Auch ist die Repression die logische Antwort des Staates auf Attacken gegen die existierenden Verhältnisse. Politiker*innen und Behörden suchen sich immer Gegner*innen, die als Sinnbild für ihre Propaganda herhalten sollen und auf die sie ihren Groll projizieren können. In Hamburg, im Nachgang des G20, waren es die internationalen Gewalttäter*innen, Franzosen, Spanier, Griechen,… in Berlin soll es seit 2013 die Rigaer Straße sein und auch die Kurd*innen sind immer wieder im Fokus der Behörden. Eine gewisse Ansprechbarkeit bzw. Sichtbarkeit ist es, was den staatlichen Angriff auf der einen Seite begünstigt, aber eben auch für eine Basis sorgen kann, auf der unsere Ideen und Vorschläge weiter wachsen können. Nach den erfolgreichen Momenten, die in den letzten Jahren im Umfeld der Rigaer Straße, beim G20, aber auch weit darüber hinaus geschaffen wurden, kann das Agieren von Politik & Polizei nicht überraschen. Dennoch müssen Konzepte gefunden werden, um auch mit dieser Phase der Auseinandersetzung umgehen zu können.
Wir hoffen mit der Erzählung niemanden abzuschrecken, sondern einen Einblick in die Machenschaften der Sicherheitsbehörden geben zu können, um sich auf die Art und Weise der Repression vorzubereiten, aber auch um Unterstützung einzufordern. Dem personalisierten, permanenten Angriff der Bullen kann nur eine permanente Solidarität entgegengesetzt werden, wir möchten mit diesem Beitrag einen Anstoß hierfür geben.
Der Kampf geht weiter…